Prof. Dr. Martin S. Fischer, Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie
mit Phyletischem Museum, Friedrich-Schiller Universität Jena
Die Zähmung des Wolfs hat zu einer im Hinblick auf Größe, Gewicht, Körperbau und
allgemeinem Erscheinungsbild erstaunlichen Vielfalt an Hunderassen geführt. Die
Gründe für diese Vielfalt - die größte unter allen Haustieren – sind sowohl in der
den Wölfen eigenen Variabilität, als auch in den Auswirkungen tausender Jahre künstlicher
Selektion zu suchen. In der weltweit bislang umfassendsten Studie zur Fortbewegung
von Hunden, die 327 Exemplaren von 32 Rassen untersuchte, gingen wir der Frage nach,
ob in der Bewegung unterschiedlicher Hunderassen eine ähnliche Variabilität auftritt;
und insbesondere ob - unter Berücksichtigung eines 40-fachen Gewichtsunterschieds
zwischen einem Chihuahua oder einem Dachshund und einem Mastiff - die Hunde sich
weitgehend gleich bewegen, ganz unabhängig von ihrer Rasse.
Das Ergebnis ist überraschend: Die Unterschiede zwischen zehn Hunden einer selben
Rasse sind in nahezu allen Fällen größer als zwischen den Rassen. Entgegen unseren
Erwartungen hat sich also die Bewegung von Hunden im Laufe der langen Geschichte
ihrer Domestikation nur geringfügig verändert. Die relativen Längen beispielsweise,
d.h. die Proportionen der einzelnen Teile ihrer Gliedmaßen, haben sich in geringerem
Maße verändert als es für die einzelnen Rassen zu erwarten war. Vor allem aber ist
die relative Länge des Oberarms bei allen Rassen mit einer Toleranz von einem Prozent
gleich. Da die Proportionen einander so stark ähneln ist es nur einleuchtend, dass
auch die Bewegungsmuster sehr ähnlich sind. In der Tat wurde bislang kleineren oder
mutmaßlichen Veränderungen zu viel Aufmerksamkeit gewidmet, während die wichtigsten
Gemeinsamkeiten außer Acht gelassen wurden.
Vergleichen wir beispielsweise die Schrittlänge – ausgehend von der Widerristhöhe
– von Dachshund und Mastiff, ergeben sich vorne beim Dachshund 1,3 und beim Mastiff
1,2 beim Gehen und 1,9 bzw. 1,8 im Trab. Entsprechende Werte für die Hinterläufe
sind 1,6 und 2,1 beim Dachshund, gegenüber 1,4 und 2,0 beim Mastiff. Der Mastiff
holt beim Gehen nach vorne weiter aus, mit nahezu identischer Schrittlänge des Vorderlaufs,
während die Schrittlänge beim Dachshund größer ist, obwohl die Bewegung beider Rassen
hinten nahezu identisch ist. Unseren Messungen zufolge macht die Rotation des Schulterblattes
bei allen Hunden etwa zwei Drittel der vorderen Schrittlänge aus. Es überrascht
also nicht, dass die tatsächliche Amplitude (Hebe-Senk-Differenzial) beim Dachshund
34° beim Gehen und 39° beim Laufen entspricht, gegenüber 37° und 44° beim Mastiff.
Das Bewegungsmuster ist also bei beiden Rassen sehr ähnlich. Die vermutlich bedeutsamste
Erkenntnis der Studie: Hunde haben die wolf-ähnliche Natur ihrer Bewegungen beibehalten.
Die Ergebnisse der Studie haben wir in einem Buch mit dem Titel „Hunde in Bewegung“
zusammengefasst, welches auch eine umfassende Darstellung des derzeitigen Forschungsstandes
zur Fortbewegung von Hunden bietet. Die wichtigsten Erkenntnisse aus 300 wissenschaftlichen
Studien werden in Wort und Bild neu aufbereitet, damit jeder interessierte Leser
auch detaillierte Informationen zu Skelett, Muskulatur, Gelenken, dem Bewegungsapparat
allgemein und den dynamischen Aspekten der Bewegung entnehmen kann. Mit einer einzigartigen
Bildsprachenpräsentation und einer DVD mit über 300 Videoclips (Hochgeschwindigkeitsvideos,
Hochgeschwindigkeits-Röntgen-Videos und v.a. 3D-Animationen) hoffen wir, die Tür
zu einem neuen Verständnis über die Bewegung unserer Hunde aufgestoßen zu haben.
Link zum Video (auf Deutsch)
http://www.fci.be/symposium2011/mfischer.html
(aufgenommen am 11. November 2011, anlässlich der FCI-Kynologietage (FCI Cynological
Days) im Rahmen der Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum der FCI).